Diese Rede wurde am 5. Mai 2024 vor dem ehemaligen Lagerbordell des KZ Mauthausen gehalten, im Rahmen des feministischen Frauengedenkens, das heuer unter dem Motto „Sichtbarkeit gegen das Vergessen“ stand.
Die Rednerin Siegrid Fahrecker ist Aktivistin der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück, im Vorstand des Internationalen Ravensbrück-Komitees und Gründungsmitglied von VEVON (Verband für das Erinnern an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus).
Text gemäß Rede-Manuskript von Siegrid Fahrecker (es gilt das gesprochene Wort).

 

Liebe Alle,

ich wurde von Maria gebeten ein paar Worte/Sätze zu sprechen.

Warum?

Ich bin weder Historikerin, Wissenschaftlerin oder Filmemacherin – Mein Name ist Siegrid Fahrecker und ich bin die Enkelin von Anna Burger. Die 1913 in Klosterneuburg in armen Verhältnissen auf die Welt gekommen ist.

Meine Großmutter hatte 5 Kinder, meine Mama war die Zweitgeborene. Ihre immer größer werdende Armut trieb sie aus purer Verzweiflung zu stehlen und betteln und nicht einmal das reichte zum Leben.

Sie galt als Wiederholungstäterin, wurde sogar als Volksschädling bezeichnet.

In einer Verdunkelungsnacht hatte sie von einer (Geschäfts-) Auslage Decken gestohlen. Damit die Kinder, was zum zudecken hatten. Sie wurde gesehen, verraten, verhaftet und zu einem Jahr Zuchthaus (1940-1941) verurteilt.

Nach Verbüßung ihrer Haft wurde sie statt in die Freiheit ins KZ-Ravensbrück gebracht.

Ab da war sie nur mehr die Nummer 6193 mit dem schwarzen Winkel, der für die sogenannten „asozialen“ galt.

Sie musste in der Zuschneiderei schuften, dem aber nicht genug, da meine Großmutter eine hübsche Frau war, wurde sie auch immer wieder zu Festivitäten der hohen Herren geholt. Der Fantasie und der Realität nach oben ist dafür genug Luft. Eine ehemalige Mithäftlings Frau bestätigte mir diese Aussagen.

Dezember 1943 wurde meine Großmutter mittels einer Giftspritze ermordet.

Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht nicht länger zu schweigen, dieses Stigma der „asozialen“ zu durchbrechen und meiner Großmutter (sowie auch vielen anderen Menschen) ihren Namen, ihr Gesicht aber vor allem ihre Würde wieder zurückzugeben.

Kann es rechtens sein das durch Armut so mit Menschen umgegangen wird. NEIN kann und darf es nicht. Für ein niemals wieder – ist es aber gerade jetzt durch die grausamen unnützen Kriege wieder ein ganz nahes „niemals wieder“.

Manchmal frag ich mich-haben die Menschen wirklich so wenig aus den Kriegen gelernt. Es ist jetzt unsere Aufgabe hier zu stehen für ein Mahnen und Gedenken zu einem niemals wieder-niemals.

Danke

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Siehe auch:
Siegrid FAHRECKER: „Unsichtbare Narben“; In: Frank Nonnenmacher (Hg.): Die Nazis nannten sie „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“. Verfolgungsgeschichten im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik. Campus Verlag Frankfurt/New York 2024, S. 125 – 142

Verband für das Erinnern an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus e.V. (VEVON)

Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück & FreundInnen (ÖLGR/F)

Internationales Ravensbrück Komitee (IRK-CIR)

Brüchiges Schweigen (Homepage) / Buch (Verlag) / eingSCHENKt – Als „asozial“ gebrandmarkt (Gespräch mit der Autorin Brigitte Halbmayr)